In dem Artikel
protokolliert der Gerichtsschreiber Hartmann eine zweitägige Exkursion von Altwegeforschern am 16./17.09.1871. Seine Beobachtungen des Abschnitts der Römerstraße östlich der Ecke Rothschwaiger Straße haben wir bereits einmal kurz betrachtet. Hier sollen die Beobachtungen von Herrn Hartmann detailliert mit den heutigen Verhältnissen verglichen werden.
Herr Hartmann schreibt:
Dort, wo die Straße von Landsberied her aus dem kgl. Walde dem sogenannten Birkeneinfange [Markierung 1 im Bild] tritt, macht sie eine kleine Beugung gegen Osten [Markierung 2 im Bild], beschreitet die Gemeindeflur Schöngeising bei Plan.Nr. 06, der Gemeinde gehörig, und schneidet kurz darnach die Bruck-Grafrather Straße, führt durch die Aecker Plan Nr. 877 und 878, dem Wagner Thomas Etschmann Haus Nr. 29 gehörig, welcher sich beklagt, daß er beim Pflügen keinen Untergrund heraufbringe, weil der Boden so fest sei, daß seine Pflugschaar „nicht einbeiße“.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Das Haus #29 des Wagners Thomas Etschmann ist heute ersetzt durch einen Neubau (Amperstraße 39). In https://www.genealogie-kiening.de wird das Haus erwähnt. Der Hofname lautet “Erlinger” – also kein Bezug zur Römerstraße. Es ist ein sehr kleiner 1/16-Hof mit immerhin 11-32 Tagwerk (Kloster Fürstenfeld als Grundherr). Trotzdem kein Wunder, daß er vor allem Wagner war. Der Vorbesitzer um 1800 war ein Magnus Straßer (was für ein interessanter Nachname an dieser Stelle!).

Der Acker von Haus #29 war in der Uraufnahme Flurstück #171. Dessen östlicher Teil liegt tatsächlich auf der vermuteten Trasse der Römerstraße. Heute liegen auf diesem Teil der Römerstraße die Häuser auf der Südseite der Hubertusstraße.

[Quelle: BayernAtlas, Uraufnahme, Bayerische Vermessungsverwaltung]
Von da führt sie immer in gerader Richtung durch den Straßanger auf das Dorf zu, so daß Haus Nr. 53 mit allen Gebäuden unmittelbar auf dem Damme steht; hier ist sie auch am deutlichsten zu erkennen, und zeigt eine Dammhöhe gegen 2 Fuß, sowie einen noch ganz gut erhaltenen Graben.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Haus #53 ist heute ersetzt durch das Gebäude Hubertusstr. 3 a. Der Hofname lautet “Straßsepperl” – also ein klarer Bezug zur Römerstraße. Es ist ein sehr kleiner 1/16-Hof mit nur 1 Tagwerk (Kloster Fürstenfeld als Grundherr). Auch lebten immer Handwerker und Nebenerwerbslandwirte.

[Aufnahme vom 11.03.20]
Das daneben stehende Gebäude Haus Nr. 30 zum Straßschuster steht noch zur Hälfte auf der Römerstraße; dann durchschneidet sie immer in nordöstlicher Richtung vom Orte die Plan Nr. 77, 79, 78; dann die sogenannten Esperlaichfelder, kreuzt aber noch zuvor zwischen Plan Nr. 78 und 2 mit dem Feld- und Fußwege [Markierung 1 im Bild], welcher nach Bruck führt; hier ist bei Plan Nr. 888 noch ein kurzer Straßenrest sichtbar.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Haus #30 gibt es nicht mehr – es war hinter der Lücke zwischen den Häusern Amperstraße 42 und 44. Der Hofname war “Straßbeni” oder “Straßschuster”. Es war ein sehr kleiner 1/16-Hof mit 1-2 Tagwerk (Kloster Fürstenfeld als Grundherr). Der Hausname deutet auch hier auf Handwerker.

Herr Hartmann beschreibt die Situation also wie folgt (wenn man eine Straßenbreite von 6 Metern und jeweils einen 5,6 Meter breiten Grünstreifen bis zum Entwässerungsgraben annimmt):

Rot der vermutete Entwässerungsgraben, der 1871 womöglich in Resten noch sichtbar war.
Gelb die heutige Hubertusstraße. Grün die heutige Amperstraße. Blau (angeschnitten oben links) die heutige B471.
Flurstück #177 endete demnach exakt mit dem nördlichen Rand der Römerstraße (der ehemalige nördliche Entwässerungsgraben spielte bei der Flureinteilung wohl schon keine Rolle mehr – aber der ist ja rasch zugeschüttet).
Generell kann man wohl annehmen: Flurgrenzen, die ursprünglich durch die Römerstraße gebildet wurden, können 6 Meter vor- oder zurückspringen. Denn bei dem einen Feld wurde wohl das Ende des erhöhten Straßendamms als Grenze genommen und beim angrenzenden Feld der Graben in 6 Meter Abstand. In Summe kann man somit einen Streifen von 18 bis 19 Metern Breite um die Mitte der vermuteten Römerstraße legen – Flurstückgrenzen in diesem Bereich parallel zur Römerstraße können durchaus ursprünglich durch Gräben oder Dammränder der Römerstraße gebildet worden sein.

Quelle: Google-MyMaps, GeoBasis DE/BKG 2020
Wie können wir den Verlauf der Römerstraße durch den Ort rekonstruieren?
Wir haben im Prinzip nur diese heute noch lokalisierbaren Stellen, bei denen der Verlauf der Römerstraße gesichert ist:
- Die Materialentnahmegruben der Bahnhofstraße im Westen Schöngeisings
- Die Lage der Häuser #53 und #30
- (Die Grabung von Herrn Krallinger – bei der wir aber die exakten Koordinaten nicht kennen.)
- Die Entwässerungsgräben im Osten Schöngeisings, die sich gelegentlich im Luftbild abzeichnen
Da paßt etwas nicht zusammen
- Wenn man die Linie der Materialentnahmegruben der Bahnhofstraße linear fortsetzt, dann stößt man nicht auf das Flurstück #171 der Uraufnahme.
- Wenn man die Position der Römerstraße bei den Häusern #53 und #30 nimmt, kann man abmessen, wo deren Entwässerungsgräben verlaufen sein müßten. Wenn man die nun mit den Entwässerungsgräben östlich Schöngeisings verbinden will, stellt man fest, daß der Winkel nicht paßt.
Das kann eigentlich nur bedeuten: Die Römerstraße knickte an mehreren Stellen, sie verlief nicht schnurgerade durch den Ort.
Knick #2 an der B471
Wahrscheinlich ist der Weg nach Grafrath/Wildenroth (der heute Teil der B471 ist) ein sehr alter Weg. Daß die Römerstraße darauf Bezug nimmt und während des Baus an diesem Abzweig ein Segment endet, ist naheliegend.
Das Flurstück #171 auf der Uraufnahme weicht deutlich ab von den übrigen Streifen-Flurstücken des Äspenlaichs: Es ist mit 24 Metern Breite rund 10 Meter breiter, als die übrigen Streifen; es ist mit 275 Metern Länge rund 100 Meter kürzer, als die übrigen Streifen. Von den übrigen Streifen ist #171 abgetrennt durch einen Zaun. Man kann also annehmen, daß #171 nicht Teil des Äspenlaichs war. Die Lage und Form dieses Flurstücks deuten darauf hin, daß die Handwerkerhäuser #53 und #30 (mit ihren kleinen Parzellen) erst nachträglich aus dem Flurstück #171 herausgeschnitten wurden (als dieser westlichste Rand des Dorfes bebaut wurde). Die ältesten Eintragungen in den Kirchenbüchern zu diesen Häusern stammen erst von ~1710 bzw. 1760.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Die nördliche Flurgrenze im östlichen Teil des Flurstücks #171 deckt sich sehr gut mit dem vermuteten Verlauf der Römerstraße. Das legt den Verdacht nahe, daß Flurstück #171 entstand, als man den nicht mehr als Straße genutzten Damm der ehemaligen Römerstraße umbrach und als Acker nutzte.

Grün die modernen Dorfstraßen. Gelb die moderne Hubertusstraße. Blau die moderne B471.
Rot die vermuteten Entwässerungsgräben der Römerstraße. Orange die vermutete Lage der Römerstraße.
Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Ganz offensichtlich hat das Flurstück #171 einen Knick. Wenn der Ostteil des Flurstücks so ausnehmend gut zur vermuteten Lage der Römerstraße paßt: Kommt der Flurstückknick dann daher, daß auch die Römerstraße an dieser Stelle einen Knick hatte? Daß sie irgendwo im Bereich der heutigen B471 abknicken mußte ist klar. Daher liegt es nahe zu vermuten, daß der Knick genau hier war. In die Zeichnung oben wurde ein möglicher Römerstraßenverlauf eingetragen – es kann sein, daß die Römerstraße auch im Westteil des Flurstücks hart an der Nordgrenze entlang lief (also 6 – 8 Meter weiter nördlich, als in der obigen Zeichnung).
Wenn dem so war, dann lag der Knick 50 Meter östlich der Abzweigung nach Grafrath/Wildenroth. Allerdings kann sich dieser Altweg durchaus schon immer zum Abbiegen in zwei Arme aufgefächert haben, wie man das auch noch auf der Uraufnahme sieht. Die römischen Ingenieure hätten dann das Ende des östlichen Abbiegearms als Ende eines Römerstraßensegments festgesetzt.
Knick #1 am Brandenberger Mühlweg
Wenn man den Knick #2 auf Flurstück #171 für plausibel hält und annimmt, daß die Römerstraße ursprünglich parallel zu den Grenzen des westlichen Flurstückteils verlief, dann kann man diese Flurstückgrenzen verlängern, bis man auf die Verlängerung der Linie der Materialentnahmegruben entlang der Bahnhofstraße stößt. Es zeigt sich: Auch hier muß es einen Knick der Römerstraße gegeben haben. Die Grenze von Flurstück #171 ist nicht parallel zur Linie der Materialentnahmegruben.
Ungefähr auf Höhe von Bahnhofstraße 27 treffen sich die Verlängerungslinien. Von Landsberied kommend ist hier das Ende einer leichten Gefällstrecke. Danach folgt ein flaches Stück.
Das Sement zwischen Knick #1 und Knick #2 wäre demnach rund 460 Meter lang (1.553 röm. Fuß = 0,3 röm. Meilen). Die am Inn gefundenen Segmentlängen von typischerweise 450 oder 750 römischen Fuß passen hier nicht (dieses Segment ist 11,7 * 450 röm. Fuß bzw. 2,1 * 750 röm. Fuß). Die vermutete Knickstelle ist 180 Meter (608 röm. Fuß) entfernt von der letzten Materialentnahmegrube. (Am Inn wurde beobachtet, daß Wechsel in der Ausgestaltung der Gruben oft mit Segmentenden zusammenfallen – hier wäre das nicht der Fall.)

Grün die modernen Dorfstraßen. Gelb die moderne Hubertusstraße. Blau die moderne B471.
Rot die vermuteten Entwässerungsgräben der Römerstraße. Orange die vermutete Lage der Römerstraße.
Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Moderner Brandenberger Weg auch hier ein Altweg?
Die ermittelte Knickstelle hängt von vielen Meßungenauigkeiten ab (in der Uraufnahme, in der Georeferenzierung, in der Verlängerung der Linien etc.). Trotzdem fällt auf, daß die vermutete Knickstelle keine 20 Meter von der Einmündung des Brandenberger Mühlwegs auf die Bahnhofstraße/Ex-Römerstraße liegt.

Gelb markiert die Einmündung der modernen Kopernikusstraße.
Rosa markiert die Einmündung des modernen Brandenberger Wegs.
Das Baustellenschild markiert den vermuteten Segment-Wechsel der Römerstraße.
[Aufnahme vom 20.03.20]
Der heutige Brandenberger Weg paßt perfekt in das Raster der “Geräumte” (also der Forstwege des 18. Jahrhunderts). Sie verlaufen alle parallel mit etwa 130 Meter Abstand. Zudem mündet der Brandenberger Mühlweg in der Uraufnahme eher auf Höhe des Bahnhofs in die Ex-Römerstraße. Daher haben wir es für zweifelhaft gehalten, daß der moderne Brandenberger Mühlweg an dieser Stelle mit dem Original-Brandenberger Mühlweg zusammenfällt.
Allerdings kann sich das Raster der Geräumte in diesem Bereich auch am Brandenberger Weg orientiert haben. Der vermutete Knick der Römerstraße an dieser Stelle stimmt zumindest nachdenklich.
Knick #3: Bei Keltenstraße 8
Bei Flurstück #171 ist ein eigentümlicher Knick aufgefallen. Bei Flurstück #282 gibt es einen ähnlichen Knick. Könnte er mit einem Knick der Römerstraße zusammenhängen?
Die in der folgenden Darstellung gelb markierte Flurgrenze entspricht recht genau der linearen Fortsetzung der heute noch gelegentlich sichtbaren Entwässerungsrinnen östlich von Schöngeising.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Der Acker gehörte zum Haus #13 (Hausname “Sterr”), was ein ganzer Hof war – also ein Vollerwerbsbauer. Das Haus gibt es nicht mehr. Heute befindet sich dort das “Scherrerhaus”, in dem das Schöngeisinger Rathaus untergebracht ist (Amperstraße 22). Im Hausnamen kann man keinen Bezug zu einer Straße feststellen. Außer den Häusern #30 und #53 gibt es in Schöngeising keine weiteren Hausnamen mit Straßenbezug.

Quelle: GoogleMaps. GeoBasis-DE/BKG,GeoContent, Maxar Technologies, 2020

Aufnahmedatum: 20.03.20

Rot die vermuteten Entwässerungsgräben der Römerstraße. Orange die vermutete Lage der Römerstraße.
Quelle: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Bayerische Vermessungsverwaltung
Rätselhafterweise deutet die Flurgrenze einen viel ausgeprägteren Knick an, als er sich durch die Verlängerung der sichtbaren Entwässerungsgräben ergibt. Andererseits möchte man auch keinen Zickzack-Kurs der Römerstraße vermuten, nur um sie Flurgrenzen folgen zu lassen. Die hier vorgeschlagene Route verlängert aber immerhin die Grenze der Flurstücke #176/#177.
- Das Segment zwischen Knick #2 und Knick #3 wäre 495 Meter lang (1.671 röm. Fuß, 1/3 röm. Meile).
- Das Segment zwischen Knick #3 und der Amperbrücke wäre 684 Meter lang (2.309 röm. Fuß, 0,46 röm. Meilen).
Somit würden auch diese beiden Segmente nicht in das andernorts beobachtete 450-Fuß- bzw. 750-Fuß-Raster.
Alle hier dargestellen Segmente decken sich recht gut mit dem vom Landesdenkmalamt eingezeichneten Verlauf der Römerstraße. Mit diesen Abweichungen:
- In der Bahnhofstraße ist der Denkmalpflegeamtsverlauf ein wenig zu weit nordwestlich eingezeichnet.
- Ab dem Abzweig Rothschwaiger Straße schwenkt der “offizielle Verlauf” der Römerstraße nach Süden – folgt also der modernen Straße. Das ist höchst wahrscheinlich verkehrt.
- Kurz vor der Amper ist der “offizielle Verlauf” ein Stück zu weit südlich (das kann aber auch von abweichenden Koordinatensystemen von Google-Earth und BayernAtlas herrühren).
Ist ein 450-Fuß/750-Fuß-Raster denkbar?
konnte bei der Inntal-Römerstraße beobachten, daß die Bauabschnitte meist 133 m (450 römische Fuß) oder 222 m (750 römische Fuß) betrugen.
Wäre es möglich mit solchen sehr kurzen Segmenten die Flurgrenzen der Uraufnahme exakter abzubilden – selbst wenn das einen Zickzack-Kurz der Römerstraße bedeutet? Die dahinter liegende These wäre: Feldgrenzen werden über die Jahrhunderte eifersüchtig bewacht und bewahren ihre Positionen auch dann noch, wenn die Straße, die sie einst begrenzte, längst vergangen ist.
Wenn man zusammenhängende gerade Flurgrenzen als Strecken betrachten, dann bekommt man von Knick #2 an ostwärts diese Streckenlängen bis zur Amperbrücke:
184,3 m – 149,8 m – 125,6 m – [ 41,0 m – 145,0 m ] – [ 79,3 m – 57,4 m] – [ 92,3 m – 259,0 m ]
Mit gutem Willen kann man daraus diese Strecken zusammenbauen, die halbwegs den oben genannten Rasterlängen entsprechen würden:
184,3 m – 149,8 m – 125,6 m – [186,0 m ] – [ 136,7 m] – [129 m + 222,0 m ]
Das ergäbe aber eine sehr unruhige Wegeführung:

Rot-Orange die vermutete Streckenführung bei längeren geraden Strecken.
Man muß wohl konstatieren, daß dies für eine Römerstraße untypisch wirkt. Diese Theorie der Streckenrekonstruktion und der Bauabschnitte sollte man im Raum Schöngeising nicht weiterfolgen.