(Artikel von Ulrich Bähr)
Zusammenfassung
Die französischen Besatzer verlangten und organisierten erstmals bayernweite topographische Karten. Von 1801 bis 1867 dauerte diese immense Aufgabe. Fast zeitgleich kartierte der bayerische Staat die Grundstücke für die Besteuerung.
Straßen und Karten für Militär und Steuern
Bayern war immer ein mittelgroßer Staat zwischen Machtblöcken. Als Land selbst war es lange eher unbedeutend und arm; aber als Durchmarschgebiet durchaus von Interesse:
- zur Römerzeit bildete Bayern am Nordrand des römischen Reiches die Grenze zu den Germanen. Hier waren Straßen zwischen Italien und Augsburg/Rheinland wichtig.
- im Frühmittelalter am Südostrand des Frankenreichs. Hier waren erneut Nord-Süd-Straßen über die Alpen zu den Langobarden und nach Osten zu slawischen Siedlungsräumen und Karantanien (Kärnten) nötig.
- Unter Napoleon geriet Bayern zwischen die verfeindeten Länder Frankreich und Österreich-Ungarn und die Heerstraßen nach Österreich wurden bedeutsam.
- Nach 1945 war Bayern am Ostrand des westlichen Blocks und Autobahnen zur Ostgrenze mußten breit und durchgängig sein.
Die militärische Bedeutung des bairischen Raums führte Napoleon dazu, detaillierte Karten erstellen zu lassen. Die bayerische Verwaltung nutzte sie dann für eine Grundsteuer.
Literatur
Drei Büchlein für Laien beschreiben die Geschichte der Kartographie Bayerns:
- Max Seeberger: „Wie Bayern vermessen wurde“ ist eine sehr detaillierte Darstellung der bayerischen Kartographie.
- Herbert Zwerenz‘ Abriß „Vom Topographischen Atlas zum BayernAtlas“ zeigt komprimiert auf 24 Seiten 200 Jahre Kartographiegeschichte.1
- Ein leicht lesbares Buch zu dem Thema ist auch: „Warum es in Bayern Pyramiden gibt“2 Es gibt einen kurzweiligen, reich bebilderten Überblick über die frühe Kartographie in Bayern. Es ordnet die Geschichte der Kartographie anschaulich in die Weltgeschichte ein. Es erinnert stark an das Buch von Max Seeberger, das wir gerne in der Literaturliste aufgeführt gesehen hätten.
1.1 Verwaltung
Ämter
Von | Bis | Amt | Leiter | Aufgabe |
Topographische Karte | ||||
08.1800 | 01.1801 | Bureau topographique militaire de l‘Armée bzw. Commission des Routes | General d‘Abancourt | Kartenarchiv sichten |
01.1801 | 06.1801 | Bureau topographique militaire de l‘Armée | Oberst Charles Rigobert Marie Bonne | Kartenarchiv sichten Kriegskarte 1:100.000 (unvollendet) |
06.1801 | 03.1817 | Topographisches Bureau im Außenministerium | Oberst Charles Rigobert Marie Bonne (bis 05.1807) Seyffer (ab 1812) | Basislinie vermessen Hauptdreiecksnetz Mappierung Baierns 1:100.000 Topographischer Atlas 1:50.000 |
1814 | 03.1817 | Ingenieur-Geographen-Bureau im Kriegsministerium | Alois Coulon | Topographische Karten für das Militär |
03.1817 | 1819 | Militärisch Topographisches Bureau im Kriegsministerium | Generalleutnant Clemens Wenzel von Raglowich | |
1922 | „Topographische Zweigstelle“ im Landesvermessungsamt | |||
Kataster und Grundstücksvermessung | ||||
06.1807 | 01.1808 | Steuerrektivikations-Kommission | Grundsteuergrundlagen erarbeiten. | |
01.1808 | 03.1811 | Steuervermessungskommission | Joseph von Utzschneider | Kataster der Grundstücke |
03.1811 | 08.1828 | Königliche unmittelbare Steuervermessungskommission im Finanzministerium | Joseph von Utzschneider | Kataster der Grundstücke |
08.1828 | 1872 | Königliche Steuerkataster-Kommission | ||
1872 | Katasterbüro | Kataster und Dreiecksnetz aktuell halten | ||
Flurbereinigung | ||||
1886 | Flurbereinigungsbehörde, | Kastastermessungen für die Zusammenlegung von Flächen | ||
Direktion für Ländliche Entwicklung |
1.2 Kartographische Ergebnisse
Überblick
Die moderne Vorgehensweise war:
- Eine lange Basislinie sehr genau vermessen.
- Mit der Basislinie durch Anpeilen von weit entfernten Festpunkten mit Sichtverbindung die Winkel bestimmen und so ein Haupt-Dreiecksnetz aufspannen.
- Das Dreiecksnetz verfeinern (anfangs parallel für topographische Karten und für Katasterkarten – später mit einem gemeinsamen Dreiecksnetz)
- Im Gelände Straßen, Wälder, Orte etc. für topographische Karten erfassen
- Im Gelände Grundstücksgrenzen für Kataster erfassen
- Aus den Geländeerhebungen Karten zeichnen und vervielfältigen.
Vorgeschichte
Vor 1800 gab es nur diese Karten von Bayern:
Jahr | Kartograph | Kartenwerk | Maßstab | Vervielfältigung |
1568 | Philipp Apian | Bairische Landtafeln | 1:144.000 | Holzschnitt |
1663 | Georg Philipp Finckh | Landcharten | 1:270.000 | Holzschnitt (?) |
1700 | Michael Wening | Kurfürstentum Bayern | 1:950.000 | Holzschnitt (?) |
1768 | De St. Michèl | München und Umgebung | 1:86.400 | Kupferstich |
1770 | Francois de Cuvillés d. J. | Gegend um München | 1:86.400 | Kupferstich |
1797 | Schmitt | Karte von Südwestdeutschland | Unikat | |
1796-1803 | Adrian von Riedl | Reise-Atlas von Baiern mit über 60 Kartenblättern | Kupferstich | |
1810 | Alois von Coulon | Postkarte | 1:870.000 | Kupferstich (?) |
1812-1867 | Topographischer Atlas | 1:50.000 | Kupferstich |
1.2.1 Dreiecksnetz
Basislinie
Ziel: Die Länge der Strecke Oberföhring-Aufkirchen möglichst exakt messen.
Erst gab es eine vorläufige grobe Vermessung durch Joseph Consoni mit metallenen Meßketten.
25.08.1801 bis 02.11.1801 wurde „Lineal“ an „Lineal“ auf provisorischen Holzbrücken durch das Moos gelegt. Insgesamt ist diese Goldach-Basislinie 21,6538 Kilometer lang. Die Endpunkte wurden durch große Steinpyramiden markiert, um spätere Messungen daran anschließen zu können.
Hauptdreiecksnetz
Die Winkel von Dachau zu den Endpunkten der Basislinie wurden bestimmt und so die Schenkellängen errechnet. Damit wurden die Strecke Dachau zum Nordturm der Frauenkirche in München bestimmt. Dieser Nordturm wurde dann das Zentrum des bayerischen Koordinatensystems.
Dies wurde immer so fortgesetzt, bis 18253 ganz Bayern von einem Dreiecksnetz zwischen 131 trigonometrischen Punkten überzogen war.
In den Folgejahrzehnten wurde das Hauptdreiecksnetz noch dreimal erneuert und detaillierter bestimmt. 1831 erscheint z. B. ein neues Hauptdreiecksnetz
Zudem wurde ein feineres Netz „Zweiter Ordnung“ mit deutlich mehr Trigonometrischen Punkten erfaßt.
1.2.2 Topographische Karte
Urpositionsblätter
Vor Beginn der eigentlichen topographischen Erfassung Bayerns gab es bereits ein paar „Inselkarten“, z. B. Nr. 18 (München) von 1802. Die fügten sich aber nicht in den späteren Blattschnitt und waren nicht alle genordet.4
Ab dem Jahr 18085 wurden von ganz Bayern 981[6] Urpositionsblätter im Maßstab 1:25.000 gezeichnet (teilweise farbig). [7]
1841 waren alle Positionsblätter fertig. Fortan wurden gelegentlich aktualisiert.
Grundlage eines Positionsblattes sind jeweils 4×4 Katasterkarten 1:5.000 (Flurkarten)[8].
Urpositionsblätter im BayernAtlas
Die original Positionsblätter haben einen Rand mit der Überschrift, den Namen der beteiligten Kartographen und den Herstellungsdaten. Am linken und oberen Rand werden auch die jeweils 4 zugrundeliegenden Katasterkarten genannt.
Auf Positionsblatt 692 (München) kann man dort lesen:
- Detailreduction und Zeichnung angefangen von Unterkanonier Ludwig Dennerl 1852
- Detailreduction und Zeichnung vollendet von Corporal Franz Lutz 1853
- Terrain-Aufnahme von Hauptmann H. Fick 1853
- Terrain-Zeichnung von Oberlieut. K. v. Hagn 1856
- Revision des Details und der Terrainzeichnung von Hauptm. H. Fick 1856
Wir sehen auch, daß die Blattschnittnummern später geändert wurden. Das Blatt München hatte ursprünglich die Nummer 701.
Im BayernAtlas ist der Rand abgeschnitten, so daß wir eine durchgehende Karte sehen. Dafür wird das Jahr der Herausgabe genannt (1856).
Topographischer Atlas
1809 ist die gezeichnete Stichvorlage für das erste Kartenblatt (Nr. 77) von München im Maßstab 1:50.000 fertig (zusammen mit dem Kartenblatt von Wolfratshausen). 1812 erscheint das Blatt als Kupferstich.
Ab 1817 wurden die Urpositionsblätter auf Karton übertragen und dabei in den Maßstab 1:50.000 verkleinert. Das waren dann die Stichvorlagen für die Kupferstecher.[9]
Zu jedem Kartenblatt wurde ab 1818 ein Repertorium erstellt, das Straßen, Brücken, Wälder etc. beschreibt.
1867 erscheint das letzte Kartenblatt und damit der gesammelte „Topographische Atlas des Königreiches Bayern“.
Ab 1867 wurde jedes Positionsblatt halbiert und es gibt nun jeweils ein Ost- und ein Westblatt.
Repertorien
Angeblich sind die Repertorien der Topographischen Atlasblätter digital verfügbar. Für den Landkreis Fürstenfeldbruck läßt sich aber nur dieses finden:
Ortsgeschichtlich können sie interessant sein, weil man gezielt nach Salpetersiedern und Leinwandbleichen suchen kann.
Für die Altwegesuche kann die Liste der Chausseen, Vicinalwege und Militärwege weiterhelfen.
Maße
Die ursprünglichen Messungen unter französischer Aufsicht erfolgten in Metern. Nach Abzug der Franzosen wurde auf bayerische Fuß umgestellt. Mit Gründung des deutschen Reiches wechselte man zurück auf Meter:
Bayerisches Maß | Metrisches Maß |
1 Zoll | 0,0243216 Meter |
1 bayerischer Fuß = 12 Zoll = 144 Linien | 0,2918592 Meter |
1 geometrische Stunde, Post oder Wegstunde | 3707,49 Meter |
1 Tagwerk oder Morgen | 3407,27 Quadratmeter |
1.2.3 Kataster und Flurkarten
Kataster
Ende 1807 vermaßen bei Wolfratshausen 33 Geometer die Grundstücke durch Schätzen und Abschreiten und erstellten Flurkarten im Maßstab 1:7000.
Die Ergebnisse dieses und ähnlicher hemdsärmeliger Versuche waren so schlecht, daß sie aufgegeben wurden. 1808 wurde beschlossen, auch die Feldgrößen genauso gründlich zu vermessen, wie die topographischen Karten. Pro Fläche wurde auch die Bonität bestimmt – also der Ertrag pro Hektar: 0,25 für Wälder bis 64 für Weinberge. Zudem wurden die Grundlasten ermittelt – also die diversen Abgaben an die Grundherren (die 1848 abgeschafft wurden).
Bis das abgeschlossen war, sollten als „Steuerprovisorium“ die Bauern den Marktwert ihres Grundes selbst schätzen.
1814 fehlten noch Oberbayern und Unterfranken. Da in den bereits vermessenen Gebieten die tatsächlichen gemessenen Feldgrößen größer waren, als von den Steuerpflichtigen vorher angegeben, wäre dort die Grundsteuer stark angestiegen. Wegen der sich ankündigenden Proteste wurde die Erfassung der Bonität daraufhin eingestellt.
Erst ab 1820 nutzte die Steuerkataster-Kommission die Daten des Dreiecksnetzes der topographischen Karten. Bis dahin wurde für die Katasterkarten ein eigenes Dreiecksnetz ermittelt.
Die nachfolgenden Korrekturen an den Katasterkarten wurden jedoch schlampig durchgeführt. 1851 bis 1863 mußte daher fast ganz Oberbayern neu vermessen werden in der „Renovationsvermessung“.
1868 war die Erfassung aller Grundstücke abgeschlossen. Damit war die Erstvermessung Bayerns sowohl auf Grundstücksebene, als auch als topographischer Atlas fast gleichzeitig abgeschlossen.
Mit der Abschaffung der Grundherrschaft und der Vermessung einzelner Flächen war es den Bauern nun auch möglich einzelne Äcker ihres Hofes zu verkaufen.
Der Status Quo wurde nur mangelhaft erhalten. Erst 1868 wurden Feldgeschworene in Altbayern eingeführt, die die Grenzlinien sichern sollten. Doch erst 1900 wurden Grenzsteine vorgeschrieben.
Ablauf
„Geometer“ übertrugen Festpunkte aus dem Dreiecksnetz auf einen großen Bogen Papier („Meßtischblatt“), damit das 46,7 x 46,7 große Quadrat eines 1:5000-Flurplans.
Die Meßtischblätter wurden auf Holzplatten aufgezogen und im Gelände mit Bleistift ergänzt mit den Messungen. Die Grundstücksbesitzer mußten vorher in die Ecken ihrer Flächen Holzpflöcke schlagen mit ihrer Hausnummer.
Zurück im Büro wurden die Meßtischplatten mit Tusche nachgezeichnet. Anschließend kontrollierte sie ein Revisor durch Stichproben-Nachmessungen.
Die Meßtischplatten gingen dann an die lithographische Anstalt, wo sie im Steindruck gedruckt wurden. (Die topographischen Karten wurden hingegen weiterhin bis Ende des 19. Jhr. in Kupfer gestochen.) Ab 1809 leitete der Erfinder des Steindrucks Alois Senefelder selbst die lithographische Anstalt. Bis 1960 wurden Katasterkarten auf Stein graviert.
Für den Druck wurde die 1:5000-Meßtischplatte auf 1:2500 vergrößert.
Die Steinplatten der Katasterpläne wurden ständig aktualisiert. Der ursprüngliche Stand läßt sich also nur noch durch alte Drucke ermitteln.
1.3 Quellen
„Bayerische Landesbibliothek Online“. Zugegriffen 17. November 2021. https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de.
Seeberger, Max, und Frank Holl. Wie Bayern vermessen wurde. Hefte zur bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 26. Augsburg: Haus der Bayerischen Geschichte, 2001.
Völkel, Michael und BC Publications GmbH. Warum es auch in Bayern Pyramiden gibt, 2018.
Zwerenz, Herbert. „Vom Topographischen Atlas zum BayernAtlas – 200 Jahre amtliche Topographische Karte 1:50 000“. Mitteilungen des DVW-Bayern e.V. [Elektronische Ressource] – München, 2013. https://bayern.dvw.de/sites/default/files/landesverband/bayern/anhang/beitragskontext/2014/zwerenz.pdf.
[1] Herbert Zwerenz, „Vom Topographischen Atlas zum BayernAtlas – 200 Jahre amtliche Topographische Karte 1:50 000“, Mitteilungen des DVW-Bayern e.V. [Elektronische Ressource] – München, 2013, https://bayern.dvw.de/sites/default/files/landesverband/bayern/anhang/beitragskontext/2014/zwerenz.pdf.
[2] Michael Völkel und BC Publications GmbH, Warum es auch in Bayern Pyramiden gibt, 2018.
[3] Max Seeberger und Frank Holl, Wie Bayern vermessen wurde, Hefte zur bayerischen Geschichte und Kultur, Bd. 26 (Augsburg: Haus der Bayerischen Geschichte, 2001), 24.
[4] Zwerenz, „Vom Topographischen Atlas zum BayernAtlas – 200 Jahre amtliche Topographische Karte 1:50 000“, 26.
[5] https://www.ldbv.bayern.de/produkte/historisch/position.htmll nennt den Zeitraum 1817 – 1841
[6] Völkel und BC Publications GmbH, Warum es auch in Bayern Pyramiden gibt, 91. Allerdings nennt „Bayerische Landesbibliothek Online“, zugegriffen 17. November 2021, https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de. 902 Urpositionsblätter. Hingegen nennt https://www.ldbv.bayern.de/produkte/historisch/position.htmll 981 Originalzeichnungen von Positionsblättern.
[7] https://www.ldbv.bayern.de/file/pdf/7102/HistKart_Zeittafel.pdf gibt einen guten Überblick.
[8] https://www.ldbv.bayern.de/produkte/historisch/position.htmll
[9] Zwerenz, „Vom Topographischen Atlas zum BayernAtlas – 200 Jahre amtliche Topographische Karte 1:50 000“, 26.