Genealogie Kiening

Ulrich Bähr

Zusammen­fassung

Für Familienforscher nordwestlich von München gibt eine wertvolle Webseite: www.genealogie-kiening.de. Sie ist ein weiteres hervorragendes Beispiel für die wertvollen Beiträge von Laien für die historische Forschung. Gleichzeitig ist die dahinterliegende Technik ihrerseits bereits Teil der faszinierenden Geschichte der elektronischen Datenverarbeitung.

1.1       Die Website www.genealogie-kiening.de

Die Website

Die Website www.genealogie-kiening.de liefert historische Informationen zu den Häusern und ihren Bewohnern in den Orten eines Gebiets nord-westlich von München (westlich der Isar, ehemaliges Gericht Dachau):

Das Bearbeitungsgebiet von Genealogie-Kiening. Noch detaillierter in https://www.genealogie-kiening.de/kartekl.jpg
Abbildung 1 Das Bearbeitungsgebiet von Genealogie-Kiening. Noch detaillierter in https://www.genealogie-kiening.de/kartekl.jpg [Quelle: GoogleMaps 2021 GeoBasis-DE/BKG)

Zudem bietet diese Website etliche Hintergrundinformationen zur Geschichte und Ahnenforschung.

Für historisch Interessierte und für Ahnenforscher in diesem Gebiet ist www.genealogie-kiening.de somit zweifellos das Standardwerk für die Suche nach Erster-Hand-Quellen.

Die Quellen und der Erfassung

Erfasst sind nur Daten zu Personen ab 1876, da jüngere Daten aus Datenschutzgründen gesperrt sind. Herangezogen wurden diese Quellen:

  • Kataster von 1812 (im Staatsarchiv)
  • Briefprotokolle (Notarurkunden) (im Staatsarchiv)
  • Pfarrbücher
  • Steuerbücher von 1671 (für Dachau und Kranzberg) und 1760 (Dachau)
  • Grabsteine
  • Personalakten von Beamten
  • weitere Literatur, wie Ortsbücher oder Ahnentafeln einzelner Familien

Der Erfassungsgrad schwankt von Ort zu Ort stark. Von vielen Orten, insbesondere außerhalb des eigentlichen Bearbeitungsgebiets, gibt es nur sporadische Informationen. Vergleichsweise wenige Orte sind „komplett bearbeitet“ – was aber nicht heißt, dass auch dort weitere Informationen hinzukommen können. Über Verknüpfungen aus Hinausheiraten und zugelieferten Ahnentafeln konnten auch bei Orten, bei denen nur das Kataster erfasst wurde, etliche Personen zugeordnet werden. Grundsätzlich fehlen oft die Kinder, die bald nach der Geburt starben, da sie für die datenliefernden Familienkundler bedeutungslos waren.

Ganz offensichtlich ist die schiere Menge an Urkundenseiten, die in diesem Gebiet zu transkribieren und im Computer zu erfassen ist, immens. Soviel auch schon vorliegt – noch immer gibt es viel zu tun.

Herr Kiening schätzt, dass zwischen 1650 und 1875 rund 350.000 Personen im Bearbeitungsgebiet lebten. Davon waren 2009 etwa ein Drittel erfasst[1]. Pro Jahr kamen seitdem etwa zusätzliche 1000 Personen hinzu.

Der Bearbeitungsstand ist bei jedem Ort genannt. Bei Schöngeising ist beispielweise nur der „Kataster-Querschnitt von 1812 erfasst“.

primär staatliche Quellen

Auf Grund der Projektgeschichte wurden vorrangig staatliche Urkunden aus diesen drei Archiven des Staatsarchivs ausgewertet:

  • Dokumente des Grundherrn (heute: Finanzamt) über Steuerzahler und Steuerzahlungen.
  • Dokumente der freiwilligen Gerichtsbarkeit (heute: Grundbuchamt oder Notare) über Immobilienbesitz. Die Notarurkunden dazu sind bei uns meist ab 1705 lückenlos vorhanden, (1705 haben österreichische Besatzungstruppen einige alte Registraturen (Kranzberg und Friedberg) verheizt.) Wer auf dem Land eine Familie gründen wollte, musste eine Immobilie besitzen. Deshalb ist diese Quelle ergiebig und interessant.
  • Dokumente der Strafjustiz: Das ist wenig ergiebig, da die meisten Leute nie im Leben mit der Justiz zu tun haben. Der skrupellose Räuber Matthias Kneißl aus der Sulzemooser Schachermühle ist aber so ein Beispiel.

Exemplarischer Inhalt

Die Seiten der Website sind stark reduzierte HTML-Seiten. Da keine Graphik etc. verwendet wird, erhält man pro Quadratzentimeter Bildschirmfläche die maximal mögliche Information.

Exemplarisch sei ein kleines Dorf mit 14 Häusern gezeigt: In der Ortsliste sehen wir

Mit einem Klick gelangt man auf die gewünschte Detailseite, wie z. B. die Hauschroniken:

Abbildung 2 Hauschronik von Holzhausen (Alling)
[Quelle: https://www.genealogie-kiening.de/O0/O159.HTM ]

Ursprünglich enthielt die Ortsliste Postleitzahlen. Als die Poststellen 5stellig wurden, wurden die Programme nicht angepasst. Mit aktuellen Postleitzahlen und Gemeinden ließen sich Orte schneller und zuverlässiger identifizieren. Aber immerhin liefert das Programm sehr klare Richtungshinweise, wie „Holzhausen 4 km SüdSüdWestlich  von Fürstenfeldbruck“.

Optimale Ergänzung: Die Uraufnahme

Auf den Seiten von www.genealogie-kiening.de fehlt leider der Link auf die Uraufnahme des jeweiligen Ortes im BayernAtlas. (Als einmal die Webadresse der Verwaltungsgemeinschaft Odelzhausen von einer Pornofirma übernommen wurde, flogen alle externen Links aus den Kiening-Seiten. Sonst müsste man ja ständig alle externen Links überprüfen.) Glücklicherweise lassen sich im BayernAtlas die Orte sehr einfach finden. Die Hausnummern und die Nummern auf den Äckern sind in der Uraufnahme die selben, wie in www.genealogie-kiening.de. So können wir den Häusern auf der Karte die Hausnamen zuordnen und umgekehrt.

Abbildung 3 Holzhausen in der Uraufnahme. [Quelle: BayernAtlas, Bayerische Vermessungsverwaltung, https://geoportal.bayern.de/bayernatlas/?lang=de&topic=ba&bgLayer=historisch&catalogNodes=11,122&E=666163.27&N=5334246.97&zoom=12  ]

Verlinkung

Die Website lässt sich dank ihrer vielfältigen Verlinkungen effizient bedienen:

Hintergrund­artikel

Nicht übersehen sollte man die vielen Hintergrundartikel. Sie lenken den Blick auf die Lebenswirklichkeit des Großteils der Bevölkerung in vergangenen Jahrhunderten: Der Landbevölkerung. Die Artikel bieten kenntnisreiche, rasche Einblicke in diese oft übersehene Welt. Bei einigen Artikeln kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Man kann sie als Einstiegshilfe in eigene Recherchen verstehen und als Beistand bei der Einordnung der familiengeschichtlichen Informationen. Historiker vermissen vermutlich gelegentlich Belege und Quellen. Andererseits hat Josef Kiening bei der Arbeit mit den Daten viele interessante Beobachtungen gemacht, die Forschern Material für einige Forschungsarbeiten bieten können. Zum Beispiel ließe sich der Zusammenhang der Bodengüte mit der Besiedelung mit „-ing“-Orten mit einem GIS gut überprüfen.

1.2       Die Projektgeschichte

Die Ausgangs­lage 1985

Heute sind fast alle Kirchenbücher („Matrikel“ als Oberbegriff für kirchliche Tauf-, Sterbe-, Firmungs- und Trauungsbücher) zu den zentralen bischöflichen Archiven gebracht worden und heute sind viele davon digitalisiert und online verfügbar:

1985 befanden sich die Kirchenbücher noch in den einzelnen Pfarrämtern und Familienforscher, wie Josef Kiening, mussten mit den Pfarrsekretärinnen verhandeln, ob sie Einblick nehmen durften.

Die Forscherclique ab 1985

Also verlegten sich die Familienforscher damals auf die staatlichen Urkunden, die im Staatsarchiv vergleichsweise bequem zugänglich waren.

So kamen regelmäßig und häufig Familienforscher in das Staatsarchiv und lernten sich gegenseitig kennen. Das Wohlwollen des Staatsarchivs vom Direktor bis zur Lesesaalaufsicht half beim Entstehen dieser Gruppe mit. So bildete sich die „Forscherclique“ um den Historiker Dr. Hanke und Josef Kiening. Dies waren größtenteils keine Historiker, sondern Hobby-Enthusiasten.

Josef Kiening war damals einer der Wenigen mit einem Computer und mit Programmierkenntnissen. So erarbeitete er den technischen Rahmen für die Erfassung und Recherche der gefundenen Erkenntnisse.

Die Idee

  • Jeder Familienforscher soll die relevanten Daten einer Quelle (z. B. einer Steuerurkunde) immer komplett abtippen – also auch die Teile, die seine eigene Familiengeschichte gar nicht betreffen. Wenn alle Familienforscher so arbeiten, dann kommen sie in Summe viel effizienter zum Ziel und schonen dabei auch noch die Originalurkunden.
  • Zu jeder Person soll auch das Haus erfasst werden, in der sie lebt. Das bietet noch viel mehr Recherchemöglichkeiten und Querbezüge. Personen ohne Hausbesitz werden separat erfasst. Da es die Hausnummern erst ab 1812 gibt, erfordert es die Zuordnungskunst von Josef Kiening, um ältere Daten den Häusern zuzuweisen.

Die Auflösung der Forscher­clique ab 2005

Heute hat jeder Familienforscher einen eigenen PC. Seit der Jahrtausendwende ist dadurch für viele die Notwendigkeit entfallen, die genealogischen Daten gemeinsam zu erfassen. Es gibt keine gemeinsamen Treffen mehr – man steht aber noch über E-Mail und die Mailing-Liste https://www.blf-online.de/mailingliste-bavaria-l im Kontakt. Die ehemaligen Mitarbeiter von www.genealogie-kiening.de arbeiten mittlerweile unabhängig voneinander an ihren PCs.

Die zunehmend betagten Mitglieder der Forscherclique hinderte auch das Alter an der Weiterarbeit oder sie verstarben.

Auch Josef Kiening war zuletzt 2005 im Staatsarchiv

Die Arbeit ging weiter

Josef Kiening arbeitet trotzdem unverdrossen weiter an den Daten. Ein Forscherkollege verurteilte ihn kürzlich zu “Lebenslänglich Familienforschung.

Auch ohne die Forscherclique kam Kiening problemlos an reichlich Material für die Website:

  • Jahrelang bearbeitete er den Welsch-Nachlaß von Kirchenbüchern, der nun im Dachauer Stadtarchiv liegt.
  • Wenn jemand, angeregt durch Kienings Sammlung, in jahrelanger Arbeit die Heiraten und Taufen einer Pfarrei zu Familien zusammenstellt und ihm dann eine Kiste voll Ordnern auf den Tisch stellt, dann bringt er es nicht fertig zu sagen: „Wirf es weg!“. Wohl oder übel tippt er dann den Berg ab und verknüpft ihn mit den bestehenden Daten.
Die Kartenbeilage des Historischen Atlas von Bayern, Band Dachau und Kranzberg.
rote Schnurumrahmung: Erfasstes Kataster von 1812
grüne Schnurumrahmung: Komplett erfasste Pfarrbücher (Stand 2010)
schwarze Schnurumrahmung: Das Gericht Friedberg, von dem die Briefprotokolle 1705 bis 1805 vorliegen, aber nur sporadisch erfaßt sind.

1.3       Die Technik

Erfassung in Dateien

Josef Kiening pflegt die Daten in Dateien – also nicht in einer Datenbank. Somit sind Paralleleingaben durch mehrere Mitarbeiter nicht möglich. Es gibt also eine Ortsdatei, eine Häuserdatei, eine Personendatei etc.

Aus heutiger Sicht wirkt die Pflege in Dateien ungewohnt schlicht. Trotzdem steht dahinter ein normalisiertes, relationales Datenmodell mit künstlichen Schlüsseln und Fremdschlüsselverweisen. Sollten die Dateien einmal in eine Datenbank überführt werden, dürfte das ohne große Schwierigkeiten gelingen.

Beim aktuellen Erfassungstempo von 1.000 Personen pro Jahr wird der verwendete Rechner 2030 seine Kapazitätsgrenze erreicht haben.

Josef Kiening arbeitet auf einem Linuxrechner mit einer Windows-Emulation, in der eine Atari-Emulation läuft. Da das verwendete GFA-Basic nur Tabellen bis 220.000 Einträgen bewältigt, gibt es eine technische Grenze für die verwaltbaren Vater-Mutter-Verknüpfungen.

Statische HTML-Seiten

Eine Folge von GFA-Basic-Programmen[2] generiert einmal pro Monat auf einem (emulierten) Atari-TT-Rechner (!) etwa 150.000 statische HTML-Seiten, die dann auf den Webserver hochgeladen werden. Josef Kiening geht davon aus, dass statische Webseiten von Google besser gefunden werden. Zudem sind die Zugriffszeiten sehr kurz, da beim Zugriff nicht erst eine Seite generiert werden muss.

Alternative Projekte und Werkzeuge

Natürlich gibt es viele weitere Projekte und Software-Produkte, die Familienforscher unterstützen wollen (Verein für Computergenealogie mit gedbas.genealogy.net, familysearch.org, ancestry.com, genealogy.com etc.).

Sie unterscheiden sich in einigen Punkten von www.genealogie-kiening.de:

  • Bei Kiening erfasst Josef Kiening selbst alle Daten. Das ist bequem für die Datenlieferanten, aber er ist auch der Flaschenhals bei der Eingabe. Die anderen Produkte sind darauf angelegt, dass viele Menschen ihre Daten selbst erfassen und dann auch oft die Rechte an ihren Daten aufgeben.
  • Das Datenmodell ist teilweise nicht so flexibel, wie bei Kiening. Oft müssen dort Pseudo-Personen angelegt werden, was zu verwirrenden Namenslisten mit vielen „?“-Einträgen führt.
  • Erstaunlicherweise hat nie ein anderes Projekt die Idee mit der Haus-Zuordnung aufgegriffen. Häuser können in anderen Genealogieprogrammen schlicht nicht erfasst werden.
  • Einigen Programmen merkt man den angelsächsischen Ursprung an (besonders bei den Programmen der Mormonen) wodurch die Umlaute anders sortiert werden. Bei Kiening werden Namen ohnehin normalisiert, da Namen immer nach Gehör geschrieben wurden.

Von außen betrachtet wirkt es, als ob wirtschaftliche Hoffnungen und Eifersüchteleien von Ehrenamtlichen bislang verhindert haben, ein weltweit gültiges, einheitliches Datenformat und Schnittstellen für den Austausch von Daten zu etablieren.

CD

Wer auch bei Ausfall des Webservers nie auf die Kiening-Daten verzichten möchte, kann sich den kompletten Datenbestand auch für wenig Geld als CD-Abzug schicken lassen. Die Daten der Webseite sind natürlich immer aktueller.

1.4       Die Person

Lebensweg

Josef Kiening wurde 1941 in München geboren. 1960 geriet er „zufällig“ als 19jähriger in eine Lochkarten-Abteilung und war von da an als Programmierer in der Industrie tätig. Bis zu seiner Pensionierung hat der die Entwicklung der Datenverarbeitung von den Anfängen an miterlebt. Das war eine Voraussetzung für die Genealogie-Datensammlung.

Josef Kiening an seinem Arbeitsplatz.
Links die Atari-Emulation im mittleren Fenster (das ist die Maximaldarstellung dieses Betriebssystems). Auf dem großen Bildschirm sucht er die Zuordnungen in seinen HTML-Seiten. [Quelle: Josef Kiening]

Der Arier­nachweis

Wie bei so vielen Familienforschern war der Startschuss ein Ariernachweis (seines Onkels), der Josef Kiening 1985 in die Hände fiel. Er war fasziniert davon, dass der Pfarrer 1938 die Ahnen des Onkels zurück bis in das Jahr 1750 aufschreiben konnte. Also wollte er den Stammbaum auch für die anderen Familienteile erforschen. Über die Standesämter und das Staatsarchiv arbeitete er sich rückwärts voran. Dies bedeutete immer wochenlanges Warten auf seine Anfragen.

Befeuert wurde die Leidenschaft sicherlich, als er über viele Umwege herausfand, dass sein Großvater im selben Regiment wie Adolf Hitler diente – wenn auch nicht zeitgleich, der Großvater ist gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs gefallen. Aber die Zeitgeschichte lappte in die eigene Familiengeschichte herüber!

Später entdeckte Josef Kiening noch weitere interessante Personen unter seinen Vorfahren, wie Gregor Rottenkolber aus Deutenhofen bei Altomünster, dem letzten Abt von Kloster Tegernsee.

Die Forscher­clique

Privat folgte die Phase der Recherchen im Staatsarchiv und die Forscherclique. Hier konnte er seine beruflichen Erfahrungen als Programmierer einbringen. Dabei nutzte er ab 1987/88 den Atari-Computer, den sein Sohn nicht mehr brauchte.

HTML ab 2001

2001 stellte Josef Kiening das Ausgabeformat auf die HTML-Seiten um, die wir heute noch sehen. Ab diesem Jahr standen die Genealogie-Daten auch der ganzen Welt im Internet zur Verfügung.

Seit 2003 betreibt Josef Kiening einen eigenen Webserver mit der bis heute gültigen Adresse www.genealogie-kiening.de.

Weitere Hobbies

Auch wenn es kaum zu glauben ist: Neben der Arbeit an dem Genealogie-Projekt findet Josef Kiening auch die Zeit, um an seiner Modelleisenbahn zu basteln und zu garteln.


1 https://www.genealogie-kiening.de/bearbeit.htm.

[2] https://www.genealogie-kiening.de/progdoku.htm

2 Kommentare zu „Genealogie Kiening“

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