Vom Hängen, Köpfen und Verbrennen

Da der Verdacht besteht, dass ein bestimmter Typus Altweg zu den Richtstätten führte, ist die Richtstättenarchäologie natürlich von Interesse für die Altwegeforschung.

Am 05.04.22 hielt Dr. Marita Genesis einen Online-Vortrag vor dem Archäologischen Verein Freising zum Thema “Vom Hängen, Köpfen und Verbrennen – Archäologische Funde auf den Richtstätten des Mittelalters und der Neuzeit”. Die wichtigsten Inhalte seien hier kurz wieder gegeben:

Standorte

Es müßte zehntausende Richtstätten gegeben haben in Deutschland. Sie lagen meist kurz außerhalb der Städte an Ausfallstraßen. Genau dahin erweiterten sich die Städte. So wanderten die Richtstätten immer weiter und wurden am Ende von Wohngebieten endgültig geschluckt. Daher gibt es nur noch wenige Relikte.

Zumindest in den von Frau Genesis untersuchten Stellen standen Galgen und andere Ausstattungen von Richtstätten gerne auf Hügeln. So kam es, dass dazu öfter auch bronzezeitliche Grabhügel gewählt wurden.

Die Galgen waren meist zwei bis drei massive Säulen (oder wenigsten sehr dicke senkrechte Holzbalken) auf denen quer dicke Balken lagen. Die Konstruktion mußte halten, bis der Hingerichtete herunterviel. (Z. B. 6 Jahre lang. Die Dauer stand teilweise auch im Urteil, ggf. wurde Delinquententeile wieder hochgenagelt.)

Innerstädtisch wurde auch hingerichtet. Aber auf temporären Ad-Hoc-Richtstätten für ganz besondere Fälle. Das Verfaulen am Galgen oder das Verbrennen waren für die engen Innenstädte keine geeigneten Methoden. Daher wurde in der Stadt eher geköpft oder ertränkt.

Religiöse Vorstellung

Es gab eine göttliche Ordnung. Ein Verbrecher störte diese Ordnung. Das könnte Gott erzürnen und er würde sich z. B. mit einer Seuche oder Sindflut rächen. Um Gott zu besänftigen muß ihm der Verbrecher als Blutopfer dargebracht werden. Deshalb mußte die Hinrichtung auch unbedingt gelingen. Scheiterte der Scharfrichter, haben die Zuschauer öfter versucht ihn zu lynchen. Das war also nicht nur die Enttäuschung über ein entgangenes Spektakel, sondern man machte den Henker für befürchtete Gefahren für die Bevölkerung verantwortlich.

Sollte ein Delinquent die versuchte Hinrichtung (und die vorangegangene Folter) tatsächlich überlebt haben, dann war er allerdings ein freier Mensch und erhielt sogar seine Ehre zurück. Er konnte dann also das Bürgerrecht erwerben, in einer Zunft Mitglied werden etc. Denn Gott hat ihn als Opfer verschmäht – da stand es dem Menschen wohl nicht zu, sich über Gottes Urteil zu stellen.

Im 10. – 14. Jhr. wurden die Hingerichteten zwar neben dem Galgen, aber ansonsten in der gleichen Manier, wie am Kirchfriedhof beerdigt.

Ab dem 16. Jhr. wurden Hingerichtete nicht ausgestreckt auf dem Rücken mit Blick nach Osten in geweihter Erde begraben. Statt dessen wurden sie gefesselt in Gruben geworfen (“verlocht”). Gegen frühe Neuzeit kam ein Geister- und Hexenglaube auf. Daher hat man die Toten aus Angst vor Wiedegängern teilweise mit Steinen beschwert oder in kratziges Dornengestrüpp gelegt.

Ehre und unheilvoller Ort

Das Areal der Richtstätte galt als unheilvoller Ort. Ehrenhafte Menschen arbeiteten dort nicht – sie betraten das Areal womöglich gar nicht. Da aber Handwerker von Nöten waren, einen Galgen etc. zu bauen, wurden die Beteiligten nach der Fertigstellung explizit wieder für ehrenhaft erklärt. Der Kooperationsunwillen der Handwerker und der Aufwand zur gesellschaftlichen Beschwichtigung sind ein weiterer Grund für die höchst solide gemauerten Richtstätten: Diesen Aufwand konnte man sich nur alle paar Jahre mal antun.

Von den diversen Hinrichtungsmethoden galten das Köpfen und Ertränken als ehrenhaft, was z. B. der Familie gestattete, das Vermögen zu erben. Zudem durften ehrenhaft Hingerichtete im Kirchfriedhof beerdigt werden. Öfter wurden daher (angebliche) Verbrecher auch zum Tod durch Köpfen “begnadigt”. Erstaunlicherweise finden Archäologen trotzdem Geköpfte, die unter dem Galgen verscharrt wurden.

Außerhalb Altbaierns waren die Henker oft auch Abdecker. Die Abdecker nutzten das Richtstättenareal dann gleichzeitig zum Verscharren toter Tiere. Das erklärt womöglich, warum man teilweise Mauerfundamente um Richtstätten findet. (Allerdings wollte man womöglich auch nicht, dass die Dorfhunde die menschlichen Verscharrten herauswühlen.)

Recht

Bis 1532 galt der Sachsenspiegel, der einigen Ermessensspielraum beließ – insbesondere konnte man sich von der Bestrafung auch freikaufen.

Ab 1532 kam die Constitutio Criminalis Carolina. Ab da wurden Verbrechen nach Katalog bestraft – und der sah selbst für Delikte, wie Falschmünzerei die Todesstrafe vor. Ab da wurden deutlich mehr Richtstätten benötigt. Trotzdem kann man von nur etwa 1 Hinrichtung pro Galgen und Jahr ausgehen.

Die Rechtsprechung fand in der Stadt statt. Gerne war ein Gericht am Marktplatz.

Kein Volksfest

Neben Knochen finden Archäologen an Richtstätten meist nur Gürtelschnallen und andere Bekleidungsaccessoires. Erstaunlicherweise praktisch keine Münzen, zerbrochene Krüge etc. Wenn es stimmen würde, dass bei einer Hinrichtung sehr viele Personen anwesend waren, dann würde man deutlich mehr solche Artefakte erwarten. Möglicherweise waren bei den meisten Richtstätten doch nicht so viele Zuschauer anwesend – was auch besser zu dem unguten Gefühl passen würde, das die Zeitgenossen in diesem Areal beschlich.

[Andererseits gibt es historisch belegte Hinrichtungen mit vielen Zuschauern – vor allem aus dem 18. Jhr. Möglicherweise waren die Zuschauer auch eher bei der nachgestellten Gerichtsverhandlung – die Maß trank man dann lieber dort aus und nahm sie nicht mit auf den Weg zur Hinrichtungsstätte.]
Bei der schweizer Richtstätte Luzern-Emmenbrücke wurde ein Kiesweg mit Wagenspuren ergraben. Er wird als Zufahrtsweg für den Abdecker gedeutet. Ob er auch zur Gerichtsstätte führte, ist nicht bekannt.

Die Referentin

Frau Genesis arbeitet vor allem in Norddeutschland, Brandenberg, Thüringen etc. Für Bayern hat sie der Altwegegruppe Sahra Wolff empfohlen, die immerhin in Ochsenfurt eine Richtstätte ausgegraben hat. (Wobei Franken für Südbaiern auch schon recht nördlich ist …)

Wer mehr über Frau Genesis Arbeit erfahren möchte:

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