Das wundersame Grab von Graf Rasso

Das wundersame Grab von Graf Rasso

von Gudrun Hanuschke-Ende

Zusammenfassung

Ein Exzerpt

Dieser Text faßt den Inhalt des Buches

Ernst Meßmer: Das wundersame Grab von Graf Rasso: Geschichte der ungewöhnlichen Wallfahrt und Wallfahrtskirche zu St. Grafrath; Eos-Verlag, St. Ottilien, 2004

zusammen in Hinblick auf die Altwege zu dieser Wallfahrtsstätte.

Abbildung 1 Titelbild des Buchs „Das wundersame Grab von Graf Rasso – Geschichte der ungewöhnlichen Wallfahrt und Wallfahrtskirche zu St. Grafrath“. Das Ölgemälde von Fred Winkler gibt die ehemals idyllische Lage sehr schön wieder. Es trägt die Bezeichnung „Kirche und Kloster Grafrath von Osten gesehen“ und stammt aus dem Jahr 1948.

Zur Geschichte der Wallfahrt zu St. Grafrath

Kult als Hauptthema

Ein Hauptthema in o.g. Buch von Ernst Meßmer ist der Kult, der sich im Lauf der Jahrhunderte um das Grab des Grafen Rasso entwickelt hat, d.h. die Geschichte der Wallfahrt. Über den zweiten Teil des Buchs, die Geschichte der Wallfahrtskirche und deren Instandsetzung um die letzte Jahrtausendwende, wird im vorliegenden Text nicht berichtet.

Grafrath als Wallfahrtsziel

Entstehung und Art der Wallfahrt nach St. Grafrath[1]

Voraussetzung für die Weihe eines Altars in einer neuen Kirche war ungefähr ab dem 7. Jahrhundert das Vorhandensein von Heiligenreliquien. So brachte auch Rasso für seine Kirchenstiftung (um 940) viele wertvolle Reliquien von seinen Pilgerreisen zu den Heiligen Stätten mit. Die Kenntnis darüber verbreitete sich in der Bevölkerung und veranlaßte die Menschen bald zu den ersten Wallfahrten. Das Besondere in diesem Fall ist jedoch, daß in der Folge das Grab von Rasso selbst zum Ziel der Wallfahrten wurde. Häufig heißt es deshalb, das Volk, nicht die Kirche, habe Rasso zum Heiligen gemacht und die Wallfahrt begründet. Außerdem könnte es für deren Bedeutung eine Rolle gespielt haben, daß bereits in archaischen Zeiten Moore, Flüsse und Flußinseln Kultplätze gewesen sind. Viele dieser Kultorte und Bräuche wurden später christlich überformt, teilweise erfolgten dort auch Kirchen- und Klostergründungen, um die früheren heidnischen Kulte zu verdrängen. Meßmer stellt die Frage, ob ein solcher, bereits vorhandener, Kultplatz der Grund für Rassos Ortswahl gewesen sein könnte. Eine Ursprungslegende oder ein spektakuläres erstes Wunder sind für Grafrath jedenfalls nicht überliefert. Meßmer mutmaßt, es habe sich wohl zunächst um eine Art „wilde“ Wallfahrt gehandelt, die erst später in eine geordnete kirchliche Wallfahrt umgewandelt wurde.

Motive der Wallfahrer[2]

Lt. Meßmer wird gelegentlich zwischen Pilgerfahrt und Wallfahrt unterschieden, ohne daß sich diese Unterscheidung tatsächlich durchgesetzt habe. Die Pilgerfahrt wird als religiöse Leistung ohne jede Bedingung angesehen, sie dient allein der Gottesverehrung. Die Wallfahrt hingegen wird mit gewissen Gegenleistungen verknüpft. Sie wurden versprochen, um von Gott oder den Heiligen Rettung aus einer speziellen Notlage zu erhalten bzw. als Dank für bereits erfolgte Hilfe. Meist wurde sie mit weiteren Aufgaben verbunden wie z.B. dem Fasten unterwegs oder Opfergaben am Wallfahrtsort. Dazu kam noch die Pflicht zur Veröffentlichung der erhaltenen Hilfe, der wir viele unserer Erkenntnisse verdanken, u.a. woher die Wallfahrer kamen. Daß die Kirche solche „Tauschverträge“ äußerst kritisch sah, soll hier nur am Rande erwähnt werden. Hauptgrund für jede Wallfahrt waren die zahlreichen dort bekannt gewordenen Wunder und der Wunsch, diesen besonderen Ort, das „wundertätige“ Grab, einmal selbst besucht zu haben. Die Wallfahrt galt als Pilgerfahrt des kleinen Mannes und diente in St. Grafrath zunächst der Verehrung der Reliquien aus dem Heiligen Land, später der des Grabes von Rasso selbst.

Eine Wallfahrt wurde wegen der erheblichen Mühen, die die Wallfahrer dabei auf sich nehmen mußten, auch als Bußübung angesehen. Wallfahrten wurden zudem genutzt, um die eigenen religiösen Pflichten zu erfüllen, wie die Beichte abzulegen und die Sakramente zu empfangen. Eine besondere Bedeutung kam tatsächlich der Beichte zu. Am Wallfahrtsort, mehr oder weniger weit vom eigenen Zuhause entfernt, war es vielen Menschen möglich, Sünden zu bekennen bzw. Probleme verschiedenster Art zu besprechen, die sie daheim verschwiegen.

Auch das Almosen für die Armen gehörte zur Wallfahrt. An den Wallfahrtswegen und -orten fanden sich viele Bettler und in Not geratene Menschen ein, die von den Spenden der Wallfahrer lebten.

Neben den religiösen Motiven für eine Wallfahrt gab es auch weltliche bzw. in einer Zwischenzone befindliche. So konnten die Menschen oft große prächtige Kirchenbauten ebenso bewundern wie mit Gold und Edelsteinen geschmückte Reliquien. Sie hörten die Predigten mit der Verlesung der zahlreichen Wunder und konnten so in einer Zeit ohne große Informationsmöglichkeiten ihre Neugier und Sensationslust befriedigen. Eine Wallfahrt stellte zudem meist die einzige zulässige Möglichkeit dar, zumindest für eine befristete Zeit dem normalen Alltag, vielleicht einer schwierigen Lebenssituation, zu entkommen. Bereits der Weg bot viel Neues, die Gespräche mit bis dahin unbekannten Menschen oder auch das Wiedersehen mit alten Bekannten, der Gang durch fremde Landschaften und Orte, in denen die Pilger stets besondere Beachtung erfuhren. Nicht vergessen werden dürfen außerdem die Glücksgefühle, die beim stundenlangen Wandern in freier Natur oder beim ersten Erblicken des lang ersehnten Zieles entstehen können.

An den großen Wallfahrtstagen gab es im benachbarten Wirtshaus zudem nach dem Gottesdienst oft Tanz. Ebenso waren Jahrmärkte üblich.

Entwicklung der Wallfahrt zu St. Grafrath

Zwischenbericht aus dem Jahr 1644[3]

Der Dießener Chorherr Keferloher hat um das Jahr 1640 damals bereits vorhandene Aufzeichnungen ausgewertet und auf der Basis eigener Beobachtungen einen Bericht zum Wallfahrtsbetrieb erstellt.

Die Wallfahrt erfolgte entweder einzeln oder in Prozessionen mit vorangetragenem Kreuz und Fahnen. Aus nahegelegenen Orten kamen die Wallfahrer oft allein, wurde die Entfernung größer und der Weg länger, war die Situation für Einzelpersonen nicht immer ungefährlich.

Unterwegs wurde gemeinsam der Rosenkranz gebetet oder andere Gebete gesprochen. Auch festgelegte Lieder wurden gesungen.

Zwar kamen das ganze Jahr über Pilger nach Grafrath, zu Keferlohers Zeit hatten sich jedoch vier bedeutende Wallfahrtszeiten entwickelt:

  • Der 1. Mai, das Fest der Apostel Philippus und Jakobus, der beiden Ortspatrone, denen die Kirche geweiht wurde;
  • die gesamte Bittwoche, das sind die Tage vor Christi Himmelfahrt;
  • der Todestag des Heiligen Rasso am 19. Juni sowie
  • der 4. Juli, das Fest des Heiligen Ulrich, an dem die Kirche geweiht worden war.

Da in den Mirakelbüchern ab Mitte des 15. Jahrhunderts bei den Einträgen der erfolgten Wunder der Herkunftsort der anzeigenden Person festgehalten wurde, konnte Keferloher ein alphabetisches Verzeichnis aller dieser Orte anfertigen, in dem er auch die Anzahl der jeweils gemeldeten Wunder erfaßte. Es enthält insgesamt 1242 Ortsnamen, von denen nicht alle eindeutig identifiziert werden konnten. Im 15. und 16. Jahrhundert reichte das Einzugsgebiet im Westen bis Memmingen, Biberach, Günzburg, Nördlingen, im Norden bis Eichstätt, Ingolstadt, Nürnberg, Kelheim, Regensburg, im Osten bis Straubing, Landshut, Dingolfing, Wasserburg, Salzburg, im Süden bis Innsbruck, Sterzing, Brixen. Selbstverständlich sind näher liegende Orte wie Wildenroth, Unteralting, Kottgeisering, Schöngeising, Türkenfeld, Jesenwang, Etterschlag, Inning, Dießen und auch München zahlreich vertreten. Besonders sei beispielsweise auf die große Zahl der bei Landshut eingetragenen Wunder hingewiesen. Da der einfache Weg drei bis vier Tage dauerte, müssen diese Wallfahrer insgesamt mindestens eine Woche unterwegs gewesen sein.

Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Säkularisation[4]

Zu den bereits bisher wichtigen Wallfahrtstagen kam ab 1697 noch das Kirchweihfest der neuen Kirche am Sonntag nach Mariä Geburt (8. September) hinzu. Die Wallfahrer kamen also vor allem in der Zeit vom 1. Mai bis Ende September, das heißt im Sommerhalbjahr. Der 1. Mai war und blieb der größte Wallfahrtstag. Hier fand ein weit bekannter Jahrmarkt statt. Die zahlreichen Pilger, die teils einzeln, teils in Gruppen zusammen mit ihren Pfarrgemeinden anreisten, konnte der Klosterwirt dann nicht allein versorgen. Neben den üblichen Devotionalienhändlern schlugen auch auswärtige Wirte und Bäcker ihre Kochküchen, Bierschenken und Stände auf und machten wohl ihr Geschäft.

In dieser Zeit stieg zwar die Gesamtzahl der Pilger, das Einzugsgebiet wurde jedoch kleiner. Grund dafür ist vermutlich das Entstehen zahlreicher neuer Wallfahrtsorte in ganz Süd- und Ostbayern in der Barockzeit.

Von der Säkularisation bis zur Gegenwart[5]

Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Kritik am Wallfahrtswesen von kirchlicher und weltlicher Seite immer mehr zu und schließlich kam es zu verschiedenen Einschränkungen wie beispielsweise zum Verbot von Großwallfahrten. Die Kirche beklagte die deswegen eingeschränkte Pfarrseelsorge vor Ort bzw. die Vernachlässigung der Familien wegen der Wallfahrten, der Staat den Wegfall von Arbeitstagen. Außerdem waren oft negative Begleiterscheinungen an der Tagesordnung wie Ruhestörungen oder Schlägereien, manchmal wurde die Wallfahrt sogar für Liebesabenteuer genutzt. Nicht zuletzt waren auch die hygienischen Verhältnisse teilweise problematisch. Da die Wallfahrer oft mehrere Tage unterwegs waren, kamen sie schmutzig, durchnäßt oder verschwitzt am Ziel an. Vor Ort fehlten Toiletten und Waschgelegenheiten für die vielen Menschen. Auch zahlreiche Kranke befanden sich unter ihnen, und es drohte in den überfüllten Kirchen Ansteckungsgefahr.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es schließlich zu einer Erneuerungsbewegung. Obwohl Einzelwallfahrten nie verboten und nie vollkommen eingestellt wurden, wollten die Bürger der großen Städte wie München oder Augsburg ihre traditionellen Großwallfahrten erneut durchführen. 1843 zogen die Münchner dann wieder in feierlicher Prozession nach Grafrath.[6]

Auch in Augsburg kam es 1844 zur Gründung eines Wallfahrervereins, der die Erlaubnis zur Großwallfahrt erhielt und weiterhin die jährliche Wallfahrt nach Andechs und Grafrath organisierte. In kleineren Orten wurden ebenfalls oft Wallfahrervereine gegründet.

Alle diese Vereine sahen ihre Aufgabe darin, einen geordneten Ablauf der Wallfahrt sicherzustellen. Größere Orte gaben bald eigene Büchlein heraus.[7] In kleineren wurden wichtige Punkte handschriftlich festgehalten oder auch nur mündlich weitergegeben. Meßmer schreibt, daß es „einen genauen Zeitplan, feste Zwischenstationen und Übernachtungsquartiere, für den Weg bestimmte Gebete und Lieder, einen bestimmten Ritus bei der Ankunft und beim Abschied vom Wallfahrtsort“ gab. Sogenannte Pilgerführer mit langjähriger Erfahrung und Autorität übernahmen die Leitung.

Gegenüber dem 18. Jahrhundert nahm das Einzugsgebiet der Grafrather Wallfahrt weiter ab. Mehrtägige Wallfahrten wurden häufig nicht reaktiviert. Wallfahrten aus Orten nördlich, östlich und südlich von München nach Grafrath erfolgten nicht mehr, ebensowenig die vom Süden des Ammersees, von wo doch anfänglich die meisten Pilger gekommen waren. Erhalten blieben oder erneuert wurden neben der Münchner Wallfahrt hauptsächlich Prozessionen aus dem Gebiet zwischen Grafrath und Augsburg. Neben den großen Gruppen aus Augsburg (mit 1000 Pilgern und mehr) und München kamen im 19. Jahrhundert noch Prozessionen aus 78 kleineren Orten der Umgebung.[8] Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es kaum Wallfahrten. Obwohl sich in den 1970-er Jahren im In- und Ausland fast eine neue Wallfahrtsbewegung entwickelte, ging die Zahl der Wallfahrer in Grafrath weiter zurück. Interessant zu wissen ist, daß der Anteil der Marienwallfahrten bereits seit der Barockzeit stark angestiegen war. In Bayern sind mehr als drei Viertel der aktuell bekanntesten Gnadenorte Marienwallfahrten. Außerdem ist zu beobachten, daß es nun weit mehr als früher für Wallfahrer von Bedeutung zu sein scheint, ob eine kirchliche Selig- oder Heiligsprechung erfolgte oder eben nicht (wie bei Rasso).

Wie bereits erwähnt, entstanden Wallfahrtsorte oft an besonderen Plätzen in der Natur. In Grafrath war dies die nur durch eine Brücke erreichbare, von Amper und Ampermoos umgebene Insel. Der Bau der Bundesstraße B471 hat diese besondere Situation komplett zerstört.

Zur Wallfahrt gehören immer mindestens ein Wirtshaus mit einer bzw. und eine Herberge, wo Wallfahrer sich stärken und übernachten können. Das älteste Gasthaus, der Klosterwirt, stand viele Jahre leer, verfiel zunehmend und wurde mittlerweile zu einem Mehrfamilienhaus umgebaut. Die Reste des zweiten, später errichteten Gasthauses, des Ammerwirts, brannten bereits vor langer Zeit ab. Die ehemals prägnanten Gebäude Kirche, Kloster und Wirtshaus bildeten einst ein beeindruckendes Ensemble. Den heutigen Zustand bezeichnet Meßmer dagegen als „unwirtlich“.

Reste der Wallfahrtstradition in Grafrath haben sich trotzdem bis ins 21. Jahrhundert erhalten. So gab es 2003 noch neun Wallfahrergruppen. Hervorzuheben ist der Wallfahrtszug aus Peiting, der sich seit ungefähr 300 Jahren in der traditionellen Form erhalten hat. Die jeweiligen Wallfahrtsführer haben die Verpflichtung, ihren Nachfolgern alle wichtigen Dinge, wie z.B. die Route, genau mitzuteilen. Veränderungen gab es nur, wenn es äußere Umstände, beispielsweise der Autoverkehr, erzwangen.

Die auch heute noch ständig brennenden Kerzen im Vorraum der Kirche zeigen, daß nach wie vor Menschen nach Grafrath kommen, um den heiligen Rasso um Hilfe zu bitten bzw. dafür zu danken.

Angaben zu Wegen und Orten

Zitate

Die folgenden Zitate geben grobe Hinweise auf Wege, die die Wallfahrer nahmen.

Wald vor Grafrath[9]

„Dann geht es durch Feld und Wald bis Grafrath. Im Walde vor Grafrath, wo man vor Jahren zum ersten Mal Andechs sah, ist die Begrüßung von Andechs und Grafrath, wobei sich alle Pilger auf die Knie werfen – viele auch vor Müdigkeit.“…

„Seit 20 Jahren dient ein großer Baumstamm als Kanzel … Nach dem an dieser Stelle üblichen Brauch des Opferns haben die Wallfahrer diesem Walde den Namen „Bettelhölzle“ gegeben.“[10]

von Inning[11]

„Es ist oft noch sehr dunkel, wenn der Pilgerzug früh vier Uhr Inning verläßt, und sehr steif sind bei manchem Wallfahrer die Beine. In diese trübe Stimmung bringt die schöne Wallfahrtskirche in Grafrath, welche wir gegen halb sechs Uhr erreichen, nochmal Sonnenschein. …“

Burgkapelle auf dem Michaelsberg[12]

Unter den Gebeten ist eines für den Besuch der inzwischen verschwundenen Burgkapelle auf dem Michaelsberg, …

im Spanischen Erbfolgekrieg 1703[13]

…, hundert Reiter jedoch wurden ausgeschickt, die Klostergüter Achselschwang und Mischenried und das dazwischenliegende Grafrath zu plündern. Da jedoch in Stegen die Brücke über die Amper abgebrochen war, mußten sie den Weg über Kottgeisering nach Wildenroth nehmen, um in Wildenroth den Fluß zu überqueren. Hier jedoch ließen sie überraschend St. Grafrath rechts liegen und streben gleich nach Mischenried weiter, erreichten allerdings auch dieses nicht, weil sie sich im Wald verirrten. Sie kamen in Gilching heraus, …

Rückführung der Gebeine Rassos von Dießen nach Grafrath 1695[14]

Um 12 Uhr langte man am Ufer des Sees an. Der heilige Rasso wurde auf ein besonders großes Schiff gebracht, … Nach fünfstündiger Fahrt langte man in Grafrath an, wo der heilige Rasso zunächst für die Nacht in die linke Sakristei gebracht wurde, um ihn am nächsten Tag offiziell in die Kirche zurückzuführen.

Münchner Wallfahrt 1843[15]

Nach einer heiligen Messe um 4 Uhr früh in St. Peter ging es zuerst nach Maria Eich, wo ein feierlicher Gottesdienst gehalten wurde, dann weiter über Gilching nach Grafrath. Dort wurde am nächsten Tag der Hauptgottesdienst gefeiert.

Überschwemmung 1896[16]

„1896. Nach langem Regenwetter hatten sich die Gewässer bei Grafrath so angesammelt, daß die große Moorfläche bis zum Ammersee einem See glich. Die Amperbrücke war tief unter Wasser, so daß die 1100 Andechspilger nur auf einem eigenen, sehr gefährlichen Notsteg einzeln hinübergehen durften, …“

mühsam von Augsburg 1915[17]

„Im Kriegsjahr 1915 waren es 2300 Personen. Viele mußten in Inning auf Heu und Stroh liegen. In Andechs wurde um ½ 2 Uhr zum letzten Mal die hl. Kommunion ausgeteilt, und doch waren die Leute seit früh 3 Uhr nüchtern auf dem Marsch! In Grafrath gingen die hl. Hostien aus, und so konnten über 500 Personen erst in Moorenweis die hl. Kommunion empfangen – …“

Grafrath auf Insel[18]

Es war die von der Amper und vom Ampermoos umgebene Insel, zugänglich nur von der südöstlichen Seite her über eine Brücke. Man kann die Wirkung noch ahnen, wenn man das Urkatasterblatt von 1816, alte Votivbilder oder die Zeichnungen von Antonius Riedl vom alten und neuen Grafrath betrachtet.

Wirtshaus Amperwirt[19]

Das älteste Wirtshaus stand seit den Anfängen der Wallfahrt an der markanten Stelle, … Den Bedürfnissen der Pilger entsprechend wurde später am Eingang zum Wörth ein zweites Wirtshaus errichtet, der sogenannte Ammerwirt[20].

Wallfahrt aus Peiting[21]

… als Fußwallfahrt über drei Tage durchgeführt. … Die Wallfahrt beginnt am Montag in der Bittwoche in aller Frühe um 4.30 Uhr, gleichgültig welches Wetter gerade herrscht. Mit vorangetragenem Kreuz geht der Zug über Hohenpeißenberg, Wessobrunn, St. Georgen nach Dießen, wo eine kurze Mittagspause eingelegt wird. Als Zugeständnis an die heutige Zeit, aber auch aus Notwendigkeit infolge der Gefahren durch den Autoverkehr wird die Strecke bis Schondorf im Bus zurückgelegt. Von dort ging es früher weiter über Stegen und Inning nach Grafrath – alte Wallfahrerroute – heute wegen des Autoverkehrs auf einer anderen Strecke über Eching und Kottgeisering.

Materialtransport für Neubau[22]

… Die ganzen Materialien für den Neubau, vor allem Holz und Steine, mußten von Dießen, wo sie in ausreichender Menge vorhanden waren, über den Ammersee und die Amper nach

Grafrath transportiert werden. Auf dem Landweg wäre dies zwar noch viel schwieriger gewesen, aber auch der Seeweg brauchte seine Zeit. Pro Woche schafften die Schiffsleute und Flößer auf dem eigens für diesen Zweck gebauten Lastschiff und auf Flößen nicht mehr als zwei Transporte, von denen jeder allein Kosten von einem Reichstaler verursachte.

In der Umgebung von Grafrath selber besorgte man den Sand, Kalk und die Ziegelsteine. Sechs Pferde wurden während der Bauzeit zu diesem Zweck in Grafrath gehalten. Doch hätten sie nicht ausgereicht, wenn nicht „der Eifer frommer Christen“ der umliegenden Orte mit angepackt und Fuhrdienste geleistet hätte.

Überlegungen zum Thema Wallfahrt und Altwege

Wallfahrt als Tourismus

Zusammenfassend läßt sich Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Wallfahrten und Altwegen sagen, daß Wallfahrten und Pilgereisen in früheren Jahrhunderten zu den wenigen Möglichkeiten gehörten, zu reisen bzw. unterwegs zu sein, einmal den Heimatort verlassen zu können (neben Handel, Handwerk und Kriegszügen).

Überlieferung der Wege

Die Wallfahrer kamen nach Grafrath aus allen Himmelsrichtungen und, je nach Zeitstellung, auch aus weiterer Entfernung oder nur näherer Umgebung. Dementsprechend gab es Eintages- sowie Mehrtageswallfahrten. Anzunehmen ist, daß alle damals vorhandenen, zum jeweiligen Etappenziel und schließlich zum Wallfahrtsort führenden und geeigneten Wege genutzt wurden. Wallfahrtswege zählen also zu den Altwegen.

Da aus jüngerer Zeit Pilgerbücher erhalten sind und auch die Verpflichtung der Pilgerführer bekannt ist, ihr Wissen an Nachfolger weiterzugeben, kann man wohl davon ausgehen, daß den einzelnen Wallfahrern bzw. Pilgergruppen „schon immer“ die vorgesehene Route, Unterkunftsmöglichkeiten u.a. mehr im Allgemeinen bekannt waren. Es gab zudem meist zuvor schon andere Personen in Familie, Nachbarschaft und Pfarrgemeinde, die bereits teilgenommen hatten, erneut mitgingen oder zumindest von ihren Erlebnissen unterwegs und am Ziel erzählten und Erfahrungen weitergaben.

Situation vor Ort vage

Da der Verfasser des Buchs „Das wundersame Grab von Graf Rasso“ das Anliegen hatte, Entstehung und Entwicklung der Wallfahrt nach Grafrath aufzuzeigen, aber nicht, begangene Routen nachzuzeichnen, reichen die dort enthaltenen Ortsangaben und Wegbeschreibungen nicht aus, um ohne weitere Informationen Strecken(-abschnitte) genau definieren und auf Karten bzw. in Realität finden zu können.

Deutlich wird dies beispielsweise bei der Beschreibung der Insellage „Es war die von der Amper und vom Ampermoos umgebene Insel, zugänglich nur von der südöstlichen Seite her über eine Brücke“, die mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten gibt. Um eine Amperbrücke kann es sich wohl nicht gehandelt haben, da heute und früher, wie auf historischen Karten ersichtlich, der Fluß im Norden der Rasso-Kirche verläuft. Auch für eine Flußinsel ähnlich der in Wildenroth gibt es weder auf alten Plänen noch auf Zeichnungen Hinweise. Letztlich bleibt wohl nur eine Art „Passage“ durch das Moos übrig, das ja in früheren Zeiten längst nicht so trocken war wie heute – trotz der in neuerer Zeit durchgeführten Wiedervernässung. Obwohl die Uraufnahme für diese Variante spricht, kann trotzdem nicht einmal der unmittelbare Zugang als gesichert angesehen werden, denn bis zu dieser Kartendarstellung waren bereits viele Jahrhunderte vergangen.

Situation in Uraufnahme

Abbildung 2 Uraufnahme (Königreich Bayern 1808-1864)

In der Uraufnahme ist die ursprüngliche Lage der Wallfahrtskirche in der Umgebung noch sehr gut erkennbar. Der Weg führt von Unteralting (hier Kot-Alting) im Südosten der Rasso-Kirche erst am Ampersteg, dann am Klosterwirt vorbei, bevor er sich nach Südwesten Richtung Arzla/Inning wendet (bzw. umgekehrt). Am nördlichsten Punkt zweigt der Zugang zur „Insel“ mit St. Rasso ab.

Situation um 1871

Abbildung 3 Ausschnitt aus dem Urpositionsblatt für Bruck und Umgebung der Landvermessung in Bayern aus dem Jahr 1871

Der Ausschnitt aus dem Urpositionsblatt (insbesondere auch die etwas unscharfe Vergrößerung unten) zeigt, wie mittlerweile neben der Brücke in Wildenroth und dem Ampersteg bei Unteralting nun auch Grafrath eine eigene Amperquerung erhalten hatte, die allerdings mitten durch das aus Kirche und Kloster gebildete Arial verläuft. Was damals bei dem sehr geringen Verkehrsaufkommen vielleicht noch als eine besonders gute Erschließung des Wallfahrtsorts gelten konnte, führte durch den Ausbau zur Bundesstraße B471 letztlich zur vollkommenen Zerstörung dieser ehemals besonderen Situation.

Abbildung 4 Ausschnitt aus dem Urpositionsblatt für Bruck und Umgebung der Landvermessung in Bayern aus dem Jahr 1871

Situation um 1700

Abbildung 5 Zeichnung „Alte Kirche von Grafrath mit Umgebung“ von Antonius Riedl, ca. 1700

Auf diesem Bild, das die Situation vor dem Kirchenneubau Ende des 17. Jahrhunderts zeigt, sind die bisherige Wallfahrtskirche (links), der Klosterwirt (rechts), Unteralting (oben rechts), Höfen (oben links), der Zugang zur „Insel“ (einschließlich einer Prozession) und die Wegeverbindungen samt dem Ampersteg gut sichtbar dargestellt.

Boote und Flöße auf der Amper zeigen nebenbei deren Bedeutung als Verkehrsweg.

Situation heute

Abbildung 6 Topographische Karte von 2023 [OpenStreetMap]

Diese moderne Karte zeigt die heutige Situation: Das Kirchengebäude befindet sich von der Straße quasi an den Rand gedrängt getrennt von Kloster und jeglicher anderer Bebaung direkt am Ampermoos, in das es einst wohl hinein gebaut wurde.

Routen vage

Nicht nur für das Auffinden der Wege in der Nähe der Wallfahrtskirche, sondern erst recht für solche über Grafrath hinaus, sind also noch weit mehr Angaben nötig. Vielleicht kann die in den 1990er Jahren erfolgte Untersuchung des Abschnitts von Gilching nach Grafrath der Münchner Wallfahrt als ein Teilbereich oder ggf. als Beginn eines tieferen Einstiegs noch genauer unter die Lupe genommen werden (siehe Fußnote 1). Es könnte sich zeigen, daß die modernen Menschen, ohne sich dessen bewußt zu sein, immer noch auf den gleichen Wegen unterwegs sind wie frühere Wallfahrer oder auch Verbindungen überbaut wurden, vielleicht sogar zugewachsen und vollkommen verschwunden sind und vergessen wurden.

Verkehrsmittel

Ein weiterer interessanter Aspekt könnte noch sein, in welchem Umfang Verkehrsmittel genutzt wurden, wie beispielsweise die Schiffahrt auf dem Ammersee, die die Wallfahrtsorte Grafrath, Andechs und Dießen näher zusammenführt. Schließlich wurden Schiffe seit altersher verwendet, um „Material“, seien es nun die kostbaren Gebeine Rassos oder auch die wertvollen Baustoffe für den Kirchenneubau, über den See bis nach Grafrath zu transportieren.

Quellen

Meßmer, Ernst. Das wundersame Grab von Graf Rasso: Geschichte der ungewöhnlichen Wallfahrt und Wallfahrtskirche zu St. Grafrath. St. Ottilien: EOS-Verlag, 2004.


  1. Meßmer, Das wundersame Grab von Graf Rasso, 10 ff.



  2. Meßmer, 39.



  3. Meßmer, 51 ff.



  4. Meßmer, 64 ff.



  5. Meßmer, 103 ff.



  6. Der Weg führte von der Peterskirche in München über Maria Eich und Gilching nach Grafrath. Dort fand am zweiten Tag der feierliche Hauptgottesdienst statt. „Ein Abschnitt des Wallfahrtsweges, nämlich der Kreuzweg von Gilching nach Grafrath wurde vor einigen Jahren mit viel Engagement und wissenschaftlicher Akribie rekonstruiert.“:


    R. Schmitt; Durch Wald und Moos. Ein Kreuzweg Münchner Bürger von Gilching nach Grafrath; Jexhofblätter 8, Fürstenfeldbruck 1993 (siehe Seite 108 mit Anmerkung 165!)



  7. Für München: A. Senestry; Die Wallfahrt nach Andechs, Altötting und St. Grafrath; München 1843


    Für Augsburg: J. B. Wolff; Augsburger Wallfahrtsbuch zum Gebrauche bei den Wallfahrten nach Andechs und Grafrath u.a.; Augsburg 1858 (siehe Anmerkung 167 auf Seite 109!)



  8. Besonders erwähnt werden: Landsberied, Kottgeisering, Inning, Schöngeising, Weßling, Peiting, Bergkirchen, Liebenach, Günzlhofen, Adelshofen, Grunertshofen, Sulzemoos, Aich, Purk, Aufkirchen, Egling, Maisach, Wehringen, Hurlach, Untermeitingen, Dünzelbach, Langeringen, Beuern, Erling-Andechs, Schmiechen, Pfaffenhofen, Türkenfeld, Moorenweis, Egenhofen, Zankenhausen, Herrsching, Steinbach, Eching, Hiltenfingen, Geltendorf, Jesenwang, Aich, Brandenberg, Mammendorf, Oberpfaffenhofen, Puch, Biburg, Emmering, Olching, Steindorf, Oberschondorf



  9. Meßmer, Das wundersame Grab von Graf Rasso, 49.



  10. Meßmer, 111 Zitiert aus Augsburger Wallfahrerverein.



  11. Meßmer, 49 zitiert nach Augsburger Wallfahrerverein (Hrsg.), Geschichte der Augsburger Fußwallfahrt, S. 60-71.



  12. Meßmer, 53.



  13. Meßmer, 77.



  14. Meßmer, 83.



  15. Meßmer, 108 Zitiert nach R. Schmitt; Durch Wald und Moos, Ein Kreuzweg Münchner Bürger von Gilching nach Grafrath; Jexhof-Blätter 8, Fürstenfeldbruck 1993.



  16. Meßmer, 109 zitiert nach Augsburger Wallfahrerverein S. 52.



  17. Meßmer, 110 Zitiert aus Augsburger Wallfahrerverein S. 55f.



  18. Meßmer, 117.



  19. Meßmer, 118.



  20. Hinweis: Im Ort wurde das Wirtshaus eigentlich „Amperwirt“ genannt. Es wurde 2018 geschlossen und 2020 abgerissen.



  21. Meßmer, Das wundersame Grab von Graf Rasso, 120.



  22. Meßmer, 175.


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